Im Interview:
Michael Bußmann, MHD Helfervertreter
Hannes Oberfeld, Mitglied der Ortsvereinsleitung der JUH
Michael Krimpmann, stv. Rotkreuzbeauftragter
Welche sind die vorwiegenden Einsatzfelder für den Katastrophenschutz in Münster?
Der Katastrophenschutz besteht aus mehreren Komponenten, die als so genannte Einsatzeinheit zusammenwirken. Insgesamt halten die vier Hilfsorganisationen ASB, DRK, JUH und MHD in Münster fünf solcher Einsatzeinheiten vor. 33 Ehrenamtliche bilden jeweils eine Einsatzeinheit. In den meisten Einsätzen ist der Betreuungsdienst gefragt. Hier geht es darum, Menschen eine Unterkunft herzurichten, sie zu betreuen und zu verpflegen, wenn sie kurzfristig – während einer Bombenevakuierung zum Beispiel – ihre Wohnung verlassen müssen. Auch Transporte von Rollstuhlfahrer*innen oder bettlägerigen Personen führen wir dann durch. Ein weiteres häufiges Einsatzfeld ist die Unterstützung des Regelrettungsdienstes der Stadt Münster bei besonderen Lagen. Wenn das Einsatzaufkommen bei der Feuerwehr etwa durch einen Großbrand stark erhöht ist, unterstützen die Hilfsorganisationen den Rettungsdienst der Stadt Münster.
Die Sanitätsgruppe der Einsatzeinheit kommt in einem städtisch geprägten Bereich wie Münster, wo die rettungsdienstliche und medizinische Infrastruktur sehr gut ausgebaut ist, seltener zum Einsatz. Ein trauriges Beispiel war der Einsatz nach dem Kiepenkerl-Amoklauf im April 2018. Auch über Münster hinaus können die Einsatzeinheiten aktiv werden. Dann werden etwa die so genannten Patiententransportzüge (PTZ) alarmiert. Bei Großereignissen wie der Fußball-EM im kommenden Jahr gehen regelmäßig Einsatzeinheiten in Bereitstellung – für den Fall der Fälle.
Was zeichnet die Zusammenarbeit der Hilfsorganisationen hier in Münster aus?
„Wir haben durch unsere regelmäßigen gemeinsamen Einsätze, zum Beispiel beim Marathon und Giro sowie bei größeren Betreuungseinsätzen, ein gutes Miteinander“, erläutert Bußmann, „wir gehen kollegial miteinander um und helfen uns gegenseitig. Wenn alarmiert wird, muss es schnell gehen. Da haben wir durchaus einen zeitlichen Vorteil, weil wir gemischte Einheiten bilden können, die durch den ‚Leiter Hilfsorganisationen‘ koordiniert werden. Dieses Bündnis für Münster funktioniert sehr gut und wird auch auf Leitungsebene mit Leben gefüllt.“
20, 25, 30 oder mehr Jahre ehrenamtlich in einer Organisation aktiv – bislang keine Seltenheit. Ist das zukünftig noch realistisch?
Wie verändern die stetige Fluktuation und der Wunsch nach Flexibilität das Ehrenamt im Katastrophenschutz? „Die Fluktuation ist eine Herausforderung für uns. Gerade in Münster gibt es eine so vielfältige Auswahl an ehrenamtlichen Betätigungsmöglichkeiten, dass eine kontinuierliche Zugehörigkeit zu einer Hilfsorganisation seltener geworden ist“, sagt Bußmann. Viele junge Ehrenamtliche studieren in Münster und ziehen danach vielleicht weg, wenn sie ins Berufsleben starten. Dabei geht den Hilfsorganisationen viel Engagement verloren, aber es gibt auch einen anderen Aspekt: „Wer einmal vom Katastrophenschutz begeistert ist und sich dafür mit einem nicht unerheblichen Aufwand hat ausbilden lassen, bleibt diesem Ehrenamt oft auch an einem neuen Ort verbunden – und mindestens eine Hilfsorganisation ist in jeder Stadt aktiv“, erklärt Oberfeld.
Ein zunehmendes Problem besteht laut Bußmann darin, dass viele Arbeitgeber ihre im Katastrophenschutz aktiven Mitarbeitenden nicht mehr freistellen. „Oder dass Ehrenamtliche in Berufen tätig sind, die selber zur kritischen Infrastruktur gehören, und ihren Arbeitsplatz nicht ohne weiteres verlassen können“, ergänzt Krimpmann. Die notwendige Gleichstellung von Freiwilligen Feuerwehren und Hilfsorganisationen sei immer wieder Thema, um das Ehrenamt im Katastrophenschutz attraktiv zu halten.
Schadenslagen werden zunehmend komplexer und die Anforderungen für die Ausbildung immer höher. Sind niederschwellige Angebote für ehrenamtlich Interessierte realistisch und überhaupt interessant?
„Um es vorweg zu nehmen, eine ‚Einsatzkraft light‘ gibt es nicht. Die umfangreiche Qualifikation unserer Ehrenamtlichen ist wichtig und unverzichtbar“, sagt Krimpmann. „Wir haben aber gesehen, dass bei größeren Schadenslagen – wie zum Beispiel dem Hochwasser in Münster vor einigen Jahren oder der Katastrophe im Ahrtal – spontan Menschen helfen und mitanpacken wollen. Das kann ein Einstieg sein, der Lust auf ein längerfristiges Engagement im Katastrophenschutz macht. Unsere Aufgabe ist es dann, diese Engagierten gut einzubinden und zu schauen, was am besten zu der jeweiligen Person passen könnte.“
Ein weiterer niedrigschwelliger Einstieg ist der Sanitätsdienst, zum Beispiel im Preußenstadion, auf Konzerten und Festivals, beim Karneval oder auf dem Send. Dafür braucht man zunächst nur eine Sanitätsdienstausbildung. Die hier tätigen ehrenamtlichen Sanitäter*innen können darauf aufbauend nach und nach weitere Ausbildungen in den Bereichen Betreuungsdienst und Technik folgen lassen, bis sie voll ausgebildete Katastrophenschützer*innen sind“, erläutert Oberfeld.
Inwiefern hat die COVID-19-Pandemie die Aktivitäten im Katastrophenschutz beeinflusst?
„Durch die Kontaktbeschränkungen konnte die Gemeinschaft leider nicht mehr so eng zusammen sein“, erinnert sich Bußmann. „Dafür sind wir allerdings sehr schnell viel digitaler geworden und haben zum Beispiel Dienstabende und Ausbildungen per Videokonferenz abgehalten.“ Einen anderen Aspekt beleuchtet Krimpmann: „Unsere Organisationen mussten sich mit einer neuen Art von Katastrophe auseinandersetzen, denn eine Pandemie gab es bisher so nicht. Wir haben unsere Strukturen resilienter gemacht und erkannt, dass wir den Schutz der Bevölkerung auch angesichts der aktuellen weltpolitischen Lage weiter fassen müssen.“
Wie werden sich die aktuellen Mittelkürzungen im Bundes- und Landeshaushalt auf das Ehrenamt im Katastrophenschutz auswirken? Die geplanten Kürzungen im Bundeshaushalt für die Bereiche Bevölkerungsschutz und zivile Verteidigung sind ein herber Schlag für uns. „Das könnte bedeuten, dass neue Konzepte und Module für Großschadenslagen, die im Nachgang der Flutkatastrophe im Ahrtal entwickelt wurden, zunächst nicht umgesetzt werden“, blickt Krimpmann in die Zukunft. Innovationen, um sich auf neue Szenarien in der Folge des Klimawandels und der weltpolitischen Lage einzustellen, müssten verschoben werden. „Davon abgesehen gibt es bereits jetzt einen Reformstau bei der Erneuerung von Katastrophenschutz-Fahrzeugen. Bei gleichzeitig geringer werdenden öffentlichen Mitteln, sind die laufenden Kosten für uns Hilfsorganisationen in den letzten Jahren geradezu explodiert – das wird auf Dauer nicht gut gehen“, warnt Krimpmann.
„Hat das Ehrenamt im Katastrophenschutz in Münster ein Nachwuchsproblem? Was motiviert Menschen, um sich im Katastrophenschutz zu engagieren?
„Natürlich freuen wir uns, wenn neue Freiwillige zu uns kommen“, sagt Oberfeld. „Bei uns findet man eine tolle Gemeinschaft und ein breites Angebot an Einsatzmöglichkeiten, die Sinn stiften“. Es ist der Spaß am gemeinsamen Engagement und das gute Gefühl etwas Sinnvolles für andere Menschen zu tun, was die Helfer*innen der vier Hilfsorganisationen motiviert. Dafür brauchen sie die gesellschaftliche Wertschätzung und Anerkennung der geleisteten Arbeit. „Wir benötigen aber auch die Unterstützung der Politik, um die materielle Ausstattung weiterhin zu sichern und zu verbessern“, ergänzt Krimpmann.
Aktuell fühlen sich viele Menschen angesichts der sich überlagernden Katastrophen – von Pandemie und Klima bis hin zu Kriegen und terroristischen Bedrohungen – beunruhigt. Gerade in diesen stürmischen Zeiten ist es daher wichtig, auf einen funktionierenden Katastrophenschutz vertrauen zu können. ASB, DRK, Johanniter und Malteser sind jederzeit für die Menschen in Münster da, bereiten sich vor und passen sich an veränderte Rahmenbedingungen an.